Ein Drama in drei Akten mit Gretel, Großmutter und Croco Schrapnell
Szene eins,
in der Gretel einen Entschluss fast
Gretel am Frühstückstisch. Liest laut aus der Zeitung: „Das ist ja interessant: Wir sind Grand Prix. Wir sind im Halbfinale. Wir sind … faltig?“
Schlägt entsetzt die Hand vor den Mund, rauft sich die Haare, rennt dann vor den Spiegel und ruft entsetzt: „Aber ich seh doch noch prima aus!“
Schenkt sich ein Glas Wasser ein, trinkt es leer und liest weiter: „Mit einer verjüngenden Gesichtsmassage können Sie jetzt den Alterungsprozess umkehren.“
Steht auf und geht in der Küche umher. Denkt laut: „Aber schaden kann es ja nichts. Und ein bisschen Entspannung täte selbst einer so jungen Frau wie mir gut. Die 89 Taler sind zwar kein Schnäppchen, aber ich gönn mir ja sonst nix.“
Gesagt, getan. Gretel greift zum Telefon und wählt: „Hallo, hier ist Gretel Jungblut. Ich rufe wegen Ihrer Anzeige an. Ja, genau, Gesichtsmassage, das Angebot für 89 Taler. Wann könnte ich da … Tatsächlich, schon heute? Oh, das ist fein. Dann mache ich mich gleich auf den Weg!“
Gretel legt auf und stützt die Hände in die Hüften: „Jetzt bin ich aber gespannt!“
Szene zwei,
in der Oma Kaspary gehörig in die Bredouille kommt
Gretel betritt den Schönheitssalon. Croco Schrapnell deutet mit unglaublich langen, spitzen knallroten Krallen auf die Sitzgruppe und grinst sie gefährlich an: „Nur einen Augenblick, bitte. Ich kümmere mich nur eben noch kurz um Oma Kaspary.“
Gretel nimmt Platz und schaut sich unbehaglich um. An der Theke findet noch ein abschließendes Beratungsgespräch statt. Croco Schrapnell baut unzählige Schönheitsprodukte auf: „So, hier, wie bei der Behandlung besprochen, Ihr Beautyprogramm, Oma Kaspary. Die Foundationcreme und das Augengel und die Feuchtigkeitscreme und die Abendmaske und …“
Oma Kaspary wird blass und blasser: „Aber morgens benutze ich doch nur lauwarmes Wasser. Und abends meine Nachtcreme. So viel Sachen brauche ich nicht, so viel Zeit hab ich auch gar nicht.“
Croco Schrapnell lacht schrill und winkt ab: „Daran werden Sie sich in wenigen Tagen gewöhnt haben. Das dauert keine drei Minuten. Und wir hatten das doch besprochen – all diese Produkte gehören zu Ihren Anti-Aging-Programm!“
Oma Kaspary gibt ihren Widerstand noch nicht auf: „Ich wollte aber doch bloß die Gesichtsmassage aus dem Angebot …“
Croco Schrapnell zieht die Augenbrauen hoch bis zum Haaransatz: „Wollen Sie nun jünger aussehen oder nicht? Ich kann nicht zaubern – wenn Sie nicht wie vereinbart mitarbeiten, hilft eine einzige Massage nicht viel. Sie brauchen sieben Beautyprodukte jeden Morgen und sieben andere am Abend und sieben weitere Massagetermine pro Monat in den nächsten sieben Jahren …“
Oma Kaspary weiß nicht recht: „Aber warum so viele Sachen? Reicht nicht eine Salbe?“
Croco Schrapnell schüttelt den Kopf: „Würden Sie denn beim Kuchenbacken einfach eine Zutat weglassen? Da braucht man auch sieben Sachen, sonst wird der Kuchen nichts: Eier und Schmalz, Butter und Salz, Milch und Mehl und Safran. Kann man etwa einfach auf das Mehl verzichten? Oder die Eier? Na, sehen Sie!“
Oma Kaspary zögert noch: „Und das hilft dann wirklich?“
Croco Schrapnell breitet die Rechnung vor Oma Kaspary aus und nickt heftig: „Aber natürlich, ich garantiere Ihnen, dass Sie in sieben Jahren fast ein Jahr jünger aussehen werden, als Sie sind!“
Oma Kaspary schaut auf die Rechnung und stößt einen spitzen Schrei aus: „Zweitausendzweihundert Taler? Aber ich habe doch nur die neunundachtzig Taler für die Gesichtsmassage aus dem Angebot dabei, was soll ich nur tun?“
Gretel flüstert: „Abhauen, Oma Kaspary …“
Croco Schrapnell räumt die vierzehn Beautyprodukte in eine Tüte und stellt sie resolut hinter den Tresen: „Am besten machen Sie sich sofort auf den Weg zur Bank, Oma Kaspary. Und wenn Sie gleich wiederkommen, bekommen Sie auch Ihre Produkte und einen Kalender mit Ihren Folgeterminen gratis dazu!“
Erleichtert seufzt Oma Kaspary auf und verlässt im Eiltempo den Salon. Auf dem Weg hinaus zwinkert Gretel ihr zu. Oma Kaspary zwinkert zurück.
Szene drei,
in der Gretel logische Schlüsse zieht und bissige Bemerkungen ignoriert
Croco Schrapnell hat jetzt Zeit für Gretel: „Und wie kann ich Ihnen helfen?“
Gretel steht auf: „Ich kam eigentlich wegen der Gesichtsmassage, aber nun fürchte ich, das Sie gar nichts für mich tun können.“
Croco Schrapnell entblößt ihr scharfes Gebiss und grinst bedrohlich: „Wieso das denn?“
Gretel lächelt, denn sie weiß, dass sie viel besser aussieht als Croco Schrapnell: „Nun, haben Sie nicht eben selber zu Oma Kaspary gesagt, dass eine einzelne Gesichtsmassage überhaupt nichts nützt, wenn man nicht für mehr als zweitausend Taler Kosmetikprodukte von Ihnen kauft?“
Croco Schrapnell schießt zurück: „Das täte Ihnen aber wirklich gut. Ich sehe doch von hier aus, dass es Ihre alternde Haut bitter nötig hat!“
Gretel lacht: „Ihre Methoden sind ja wirklich alles andere als seriös.“
Croco Schrapnell kreischt schrill: „Ich bin immerhin Kosmetikerin und Gesichtsspezialistin und Anti-Aging-Fachkraft und Mesotherapeutin und Ernährungberaterin und … ja, überhaupt, Sie sollten weniger Fett essen, das kann ich Ihnen raten.“
Gretel schaut an ihrem schlanken Körper herunter und lacht: „Sehe ich etwa aus, als äße ich zu viel Fett?“
Croco Schrapnell: „Das sagt mir meine Erfahrung.“
Gretel marschiert resolut zur Tür und ruft über die Schulter zum Abschied: „Und meine Erfahrung sagt mir: Leute wie Sie müssen ständig Lockangebote machen. Stammkunden bekommen Sie jedenfalls niemals!“
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen ist alles andere als Zufall … Leider. Wäre das alles nur Fantasie, kämen jetzt der Kasper und der Seppel mit dem Wachtmeister, um das böse Krokodil zu verhaften.
Steffi
Das hast Du KLASSE hingekriegt!!!!!!
Trotz allem: traurig traurig – diese Machenschaften von sogenannten „Spezialisten“;-(
admin
Danke dir – du kanntest ja auch den „unbearbeiteten“ Sachverhalt. Ja, eigentlich traurig. Im Grunde die gleichen Methoden wie bei diesen unsäglichen Kaffeefahrten, die aus irgendeinem Grund nicht so richtig verboten sind.
Monika Mihanovic
ja ja diese Croco….
Eigentlich müsste man diese (wahre) Story direkt an diese Person senden.
Es ist jämmerlich wie man auf diese Art und Weise versucht sein Geld zu verdienen!!
admin
Das stimmt. Absolut jämmerlich. Und wer weiß, in wie vielen anderen Branchen ähnliche Maschen ebenfalls funktionieren. Langsam glaube ich, Seniorenverbraucherschutzberatung ist eine echte Marktlücke … Verbraucherschutz an sich sowieso. Aber ab einem gewissen Alter sind viele zu höflich, um zu widersprechen, und ahnen nicht einmal, welche Fallen auch die Technik stellt – von „Gewinnbenachrichtigungen“ auf dem Anrufbeantworter bis hin zu Spam-Mails.
rebhuhn
ja, auch die ‚butterfahrten‘ und gewinnspiele… was wir da für unseren opa schon ‚rumtelefoniert haben!!
admin
Wobei doch über diese ominösen Gewinnspiel (holen Sie sich Ihren Preis ab – wir erwarten Sie um 5:45 Uhr an der Bushaltestelle) doch schon in jedem Glotzensender berichtet worden ist … Ich kann kaum verstehen, dass da noch immer Leute drauf reinfallen
gretel schreiber
da muss ich aber schmunzeln, obwohl diese geschichte nicht zum schmunzeln ist….
bin übrigens zum ersten mal in einem blog.
admin
Liebe „Gretel“, herzlich willkommen, ich hoffe, es bleibt nicht dein letzter Blogbesuch – denn hier kann man sogar über höchst traurige Dinge noch wenigstens schmunzeln. Und das ist das beste Anti-Aging-Rezept überhaupt!
Andrea
Schön geschrieben! Und ich bin mal gespannt, welche Methoden die Croco Schrapnells in, sagen wir mal, 20 bis 30 Jahren zum Einsatz bringen. Immer so weiter? Noch gerissener? Oder gibts die dann vielleicht nicht mehr? Man darf ja träumen…
admin
Im Grunde musste ich nichts tun, als Gretels Bericht mitzunotieren. Fantasie war da erst einmal nicht gefragt. Beim Blick in die Zukunft dagegen braucht man jede Menge Vorstellungskraft. Dass Croco selbst dann noch Anti-Aging-Produkte verkauft, ist allerdings kaum zu vermuten – sie wird dann das lebende Beispiel dafür sein, dass das alles nur Nepp ist und überhaupt nichts bringt …