Nein, kann man nicht. Normalerweise. Aber Daniel Tammet kann – ein junger Engländer mit Asperger-Syndrom und Inselbegabung. Oder besser gesagt: Inselbegabungen, im Plural. Schach spielen, die Zahl Pi auswendig aufsagen, Sprachen in Rekordzeit lernen – das kann Daniel Tammet besser als links von rechts unterscheiden oder Redewendungen mit übertragenem Sinn verstehen.
Sein Buch heißt „Elf ist freundlich und Fünf ist laut„, Untertitel „Ein genialer Autist erklärt seine Welt“, und ist absolut lesenswert. Faszinierend, wo er Zusammenhänge herstellt und Verbindungen sieht zwischen Fakten und Gefühlen (siehe Buchtitel) und wie ihm das beim Verstehen und Lernen hilft.
Beispiel: Vokabeln in Fremdsprachen. Als er Deutsch lernte, stellte er beispielsweise fest, dass viele Wörter, die etwas Schmales, Langgestrecktes bezeichnen, mit der Phonemgruppe „str-“ anfangen: Straße, Strick, Strang, Strecke, Strahl, Strähne, Strich, Streifen, Strom, Strumpf …
Diese Beobachtung macht er nicht als Einziger. So schreibt er auf Seite 213: „Andere Sprachwissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass einige strukturelle Wortmerkmale, die man normalerweise nicht mit irgendeiner Funktion verbindet, wie etwa bestimmte Phonemgruppen am Anfang eines Wortes, eine merkliche Auswirkung auf den Leser oder Hörer haben. Zum Beispiel bei Wörtern, die mit ’schl-‚ beginnen, wie schlaff, Schlamm, Schleim, schlabbrig, Schlampe, Schlange, schläfrig, schludrig und ähnliche mehr, die alle negative Assoziationen wecken und zum Teil extrem abwertend sind.“
Auch für Nicht-Savants ist das in spannender Ansatz. Gleich mal weiterspinnen: Wo findet man weitere Parallelen? Ich prüfe mal nach für „br-„: Brot, Braten, Brauerei – da ist der Zusammenhang offensichtlich! Ähnlich wie die „w-“ Wörter im Pfälzischen „Weck, Worschd und Woi“ (Brötchen, Bratwurst, Wein). Nicht unlogisch auch die Reihe Klang, klar, Klavier, klassisch und klatschen.
Doch wer findet das verbindende Element bei Gnu, Gnade, Gnom und Gneis? Oder bei Pfahl, Pfanne, Pfau und Pfeil? Und wer macht neue Vorschläge? Ich bin gespannt!
Silke
Heike, das ist ja genial! Und völlig klar ‚gn-’steht für Parallelwelten, wie z.B. andere Kontinente, gesellschaftlich überholte Werte, Nacht- und Fabelwelten und die frühe Phase der Mutterschaft oder auch die dunklen Geheimnisse im Bereich der (unerledigten) Körperpflege. Und ‚pf-‚ für kannibalische Utensilien (der Pfau lockt die Opfer an).
admin
Genau – eine Parallelwelt, in der es täglich Gnocchi zu Mittag gibt und wo man zu Tisch über die Gnosis – das Wissen um göttliche Geheimnisse – diskutiert … :-)
Silke
… ja, um dann hinterher aufs Gnomon zu schauen und vergnatzt die Gnitze zu erschlagen, die sich währenddessen gnadenlos auf der Gnatze, äh … Glatze niedergelassen hatte.
admin
Das ist dann aber nur was für echte Gnomiker, die statt Gnocchi auch gerne mal eine gnoße Portion Gnagi bevorzugen …
judith
Och du Ablenkerin!
ich fand noch: stringent, Strapaze, Strategie, Streber, streunen und für die andere Reihe: Schlappen, Schlunmpf, Schlummer, Schlick, schlenkern – aber schlagen passt hier gar nicht.
Pf könnte für Foltermethoden stehen: mit Pfauenfedern zu Tode kitzeln, mit Pfanne hauen, verbrennen, Pfeile schießen, mit Pfahl pfählen und natürlich ins Exil, in die Pfalz schicken ha ha
admin
Da schließt sich doch der Kreis – wer im Exil in der Pfalz ist, genießt täglich Weck, Worscht und Woi. Statt Gnocchi :-)
Andrea
Bei „str“ gehe ich ja noch mit, da fällt mir auf Anhieb kein Gegenbeispiel ein, aber „schl“ finde ich dann doch an den Haaren herbeigezogen, da gibt es zu viele positive Wörter, die einem spontan in den Kopf kommen: schlank zum Beispiel. ;-)
Auf jeden Fall spannend, so was zu lesen! Ich hab letztens Mark Heddons „Supergute Tage“ gelesen, das ist auch ein guter Einblick in die Welt eines Autisten, finde ich.
admin
Klar, Gegenbeispiele gibt’s immer. Dass man solche Zusammenhänge findet, heißt ja nicht, dass alle Wörter mit diesem Anfang in die Reihe passen.
Supergute Tage? Ich schau gleich mal beim Onlinebuchhändler meines Vertrauens …
Petra
Ja, Daniel Tammet ist ein “Phänomen”. Aber nicht nur er. Ich habe einen autistischen Bruder – auch ein Savant. Sehr faszinierend, diese Menschen. Und nichts, was mir da noch fremd ist …
In “Schweig still, mein Kind” gibt’s übrigens auch einen Autisten und “Inselwisser” in einer wichtigen Rolle. Und Tammet wird dort auch erwähnt und seine Isländischlernerei ;)))
admin
Tatsächlich? Das ist ja interessant. In welchem Bereich liegen denn die besonderen Begabungen deines Bruders? Absolut faszinierend, dieses Thema. Ich hab schon einiges drüber gelesen und mehrere Berichte gesehen. Offenbar ist unser Gehirn zu Leistungen fähig, die schier unglaublich sind. Aber um den Preis, dass andere Fähigkeiten weniger stark ausgebildet sind.
Petra
Mein Bruder ist so ein Pflanzen- und Experimente-Freak. Bio, Chemie – er weiß ALLES. Ja, das mit dem Gehirn … Ist vieles wissenschaftlich erklärbar, die andere Funktionsweise wird vielfach erklärt, ein Wie und Weshalb versucht. Dennoch: So ganz steigt man noch nicht dahinter, es gibt viel verschiedene Ansätze. Neurobiologisch, entwicklungspsychologisch … Und das Woet „Inselwissen“, mit dem Savants gesegnet(?) sind, sagt ja auch alle: Auf anderen Gebieten sind sie hilflos, könnenoft die einfachsten Dinge nicht alleine regeln. Schwierig, faszinierend, liebenswert, manchmal nervtötend … :)
admin
Und offenbar für Schriftstellerinnen auch sehr inspirierend :-)