Selten habe ich mich so auf eine Buchveröffentlichung gefreut wie auf diese. Heute, am 10.9.10, erscheint Petra Buschs erster Krimi „Schweig still, mein Kind“. Ich weiß noch gut, wie sie von Momo Evers‘ Exposéworkshop schwärmte und dann mit ihrem Buchkonzept auf der Buchmesse unterwegs war. Wie sich der gesamte Texttreff mit ihr freute, als sie einen Verlag fand … Und wie sie schon bald darauf einen Vertrag für den zweiten Krimi mit Hauptkommissar Moritz Ehrlinspiel und der Journalistin Hanna Brock in der Tasche hatte. Während sie gerade als frischgebackene Krimiautorin auf der Criminale unterwegs ist, werden sich garantiert unzählige Leser für ihr Erstlingswerk begeistern. Denn „Schweig still, mein Kind“ hat alles, was ein spannender Psychokrimi braucht: Dunkle Geheimnisse, mystische Bräuche, moderne Wissenschaft, vielschichtige Figuren, menschliche Tragödien, folgenschwere Entscheidungen, überraschende Wendungen und eín klein wenig unerfüllte Liebe …
Auch wenn ich das Rezensionsexemplar längst ausgelesen habe und daher weiß, wer was warum getan hat, möchte ich an dieser Stelle nicht mehr über den Inhalt verraten. Lest doch selber! Ok, als kleiner Vorgeschmack hier ein Mini-Interview mit der Autorin:
Frage: Jede deiner Figuren trägt ein Schicksal, das nicht gerade einfach ist. Von Opfer und Täter über Ermittler bis hin zu Nebenfiguren. Was die Tragödie allerdings erst auslöst, ist nicht das Schicksal der Einzelpersonen, sondern ihre Verbindung. Wenn sie aufeinandertreffen, gibt es so etwas wie eine chemische Reaktion. Verschiedene soziale Gruppen werden dann zum Pulverfass: die Dorfgemeinschaft, Familien, die Verbindung zwischen alten Freunden. Warum tun sich gerade hier solche Abgründe auf?
Antwort: Da ist es im Roman wie im richtigen Leben: Es gibt kaum jemanden, der nicht die sprichwörtliche Leiche im Keller hat oder in einem mehr oder weniger großen Konflikt steckt. Und natürlich kann der nur zum Tragen kommen, wenn wir in unserem gewohnten Trott und mit unserem Konflikt oder auch tragischen Schicksal in eine Situation geraten, die uns Widerstand bietet. Jemand weiß etwas über uns, das er nicht sollte, will uns den Liebhaber ausspannen, uns um das Erbe bringen, bedroht einen Freund … Dann sind wir zum Handeln gezwungen ist. Sei es durch Vertuschen der „Leiche“, durch Offenlegen oder Kampf um unsere Lieben.
Natürlich sind die Involvierten in der Regel keine Fremden, sondern Menschen aus der engen Umgebung, oder, wie die Kripo sagt, dem „sozialen Nahraum“. Familienmitglieder, (vermeintliche) Freunde, Nachbarn. Je enger der mentale und auch örtliche Kontakt, desto brodelnder die Konflikte, desto explosiver das Pulverfass. In Extremsituationen (Tod, Unfall, Krankheit …) entladen sich Emotionen, alte Spannungen brechen auf, lange Totgeschwiegenes wird nach oben gespült. Bei Fremden passiert das selten. Ihr Schicksal interessiert uns kaum. Höchstens als Voyeure und erleichtert darüber, dass es uns nicht getroffen hat.
Eine fiktive Geschichte lebt von Konflikten. Nichts ist langweiliger, als ein rundum und ewig glücklicher Zeitgenosse, der lächelnd durchs Leben geht. Wenn wir lesen, wollen wir mitfiebern, miterleben, wie die literarische Figur Hürden überwindet. Wer ihre Helfer und ihre Feinde sind. Wie der Kommissar ein Verbrechen löst, der Vater seine Tochter zurückgewinnt, der Mörder ins Netz geht – oder diese Menschen in ihrem Tun scheitern.
Frage: Diese kleinen Gemeinschaften, in denen sich Abgründe auftun, gibt es wahrscheinlich überall auf der Welt. Auch in großen Städten. Warum hast du ausgerechnet ein kleines Schwarzwaldnest als Schauplatz gewählt? Glaubst du, dass Abgründe sich in Dörfern eher auftun? Oder werden sie dort einfach besser sichtbar und damit auch besser beschreibbar?
Antwort: „Schweig still, mein Kind“ könnte statt im Schwarzwald genauso in einem Dorf auf Sylt spielen oder in einem Nest im Ruhrgebiet. Es ist ja auch kein Lokalkrimi. Was es aber braucht, ist die kleine Dorfgemeinschaft.
Die hat nämlich – und das hat sich trotz sogennanter moderner Zeiten nicht grundlegend geändert – ganz eigene Strukturen und Regeln. Ist geprägt von sozialer Kontrolle und alten Traditionen. Da kennt jeder jeden. Anonymität, wie sie die Stadt bieten kann, gibt es nicht. Die alte Nachbarin weiß, beim wievielten Glockenschlag du mit dem Sohn des Dorfoberhaupts hinter der Friedhofsmauer verschwunden bist; der Pfarrer kennt den wirklichen Vater vom Kind der Nachbarin; der wirkliche Vater könnte dir erzählen, dass der Wirt 24.550 Euro und 57 Cent Schulden beim Schweinebauern hat, und wenn Du mal nicht in der Kirche warst, schreibt das jemand in ein dickes Buch … Und wer neu in eine solche eingeschworene Gemeinschaft kommt, wird vielleicht mit den Jahren akzeptiert, bleibt aber meist ausgegrenzt. Ein Eindringling. Das ist jetzt natürlich etwas ironisch, aber im Grund läuft es so. Die klassische Dorfidylle ist oft nur eine scheinbare.
Tatsächlich war bei „Schweig still, mein Kind“ zuerst eine Stimmung da. Ein abgeschiedenes Dorf, der graue November. Das habe ich dann mit Menschen „besiedelt“ und ihre Schicksale miteinander verknüpft … Der zweite Psychokrimi mit Hauptkommissar Ehrlinspiel ist übrigens in der Stadt angesiedelt.
Frage: Wie wichtig war dir das Thema Autismus? Hast du es vor allem genutzt, um Spannung reinzubringen – quasi eine „unberechenbare“ Person? Oder ging es dir mehr darum, für die Thematik an sich zu sensibilisieren und die Problematik, dass die Betroffenen in abgeschiedenen Gegenden oft nicht gefördert werden, sondern als „Sonderlinge“ ihr Dasein fristen?
Antwort: Autismus an sich ist nur ein kleines Nebenthema. Die Figur meines Autisten Bruno ist ja auch viel mehr – nämlich ein Savant, ein sogenannter „Wissender“ mit Inselbegabung. Savants sind Genies auf einem Gebiet (bei Bruno ist es Biologie und Chemie) und meist zugleich Autisten, außerhalb ihres Wissens hilflos und unfähig zu normaler Kommunikation und emotionaler Wahrnehmung.
Wir alle kennen den Film „Rainman“. Das Vorbild des autistischen Raymond ist Kim Peek, eine „lebende Festplatte“. Er scannt zwei Buchseiten parallel, speichert den Inhalt in Sekunden. 12.000 Bücher kann er auswendig. Oder Daniel Tammet: dritte Wurzel aus 37, Pi auf 22.500 Stellen, 249 hoch 35 – alles in Sekunden im Kopf gerechnet. Isländisch hat er in einer Woche gelernt, acht andere Sprachen spricht er fließend. Ebenso faszinierend ist Matt Savage: Mit sechs Jahren hat er sich über Nacht allein das Klavierspielen beigebracht. Heute ist er eine Jazz-Jahrhundertgröße.
Beim Plotten einer Geschichte gibt es immer wieder Punkte, an denen man merkt: Ich brauche noch eine bestimmte Figur, neue Aspekte, um das Ganze rund zu machen. So ging’s mir mit Bruno. Ja, er ist unberechenbar, sein Handeln für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Das schafft Unsicherheiten bei den Beteiligten und Spannung für die Leser – so hoffe ich Brunos wissenschaftliches Talent bildet zugleich auch einen Gegenpol zu Dorfmilieu und Aberglaube.
Ich mag die Figur sehr. Nicht zuletzt deshalb, weil ich mit einem Autisten und Savant aufgewachsen bin und weiß, was für wunderbare Menschen sie sind und mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben. Bruno ist aber natürlich fiktiv. Und was die medizinische (Gehirn-)Forschung betrifft, da habe ich noch sehr viel recherchiert.
Dass Autisten in abgelegenen Gegenden oft nicht gefördert werden – ich weiß gar nicht, ob das so ist. In meinem Buch, ja. Aber das ist ja auch erdacht. Womit auch klar ist: Nein, ich wollte nicht sensibilisieren. Das ist auch nicht Sinn eines Romans. Der soll unterhalten, keinen moralischen Zeigefinger heben. Bruno trägt einfach den Plot mit. Wenn meine Faszination für das Thema natürlich auf den einen oder die andere Leser(in) überspringt, dann freut mich das umso mehr.
Danke, liebe Petra. Und viel Erfolg mit deinem Krimi!
Nina
Super Tipp! Ich hätte von selbst nicht mehr daran gedacht, wollte das Buch aber unbedingt selbst lesen und verschenken … Jetzt fehlt nur noch ein schneller Link zu Amazon oder so ;)
admin
Link ist drin! Geh mal mit dem Mäuschen auf den Buchtitel, 3. Zeile …