Wenn in Gerichtsthrillern „Einspruch, euer Ehren!“ – „Einspruch abgewiesen“ gesagt wird, geht mir das Herz auf. Das verspricht Spannung pur! Wenn mich ein Anwalt im richtigen Leben als „Erschienene zu 1″ bezeichnet und Vokabeln gebraucht wie „Erfüllungsgehilfe“, unverständliche Schachtelsätze mit altertümlichen Begriffen und dreifachen Verneinungen anreichert und dabei keine klare Aussage wagt („… bleibt abzuwarten“), dann muss ich höchstens gähnen. Warum das so ist und dass es vor allem auch anders geht, beweist meine liebe Texttreff-Kollegin Eva Engelken in ihrem soeben erschienenen Buch „Klartext für Anwälte„.
Erklärtes Ziel: Recht verständlich machen
Dass Eva weiß, wovon sie spricht, liegt auf der Hand – sie ist selbst sowohl Juristin als auch Wirtschaftsjournalistin, arbeitete lange Jahre bei Ogilvy Public Relations im Bereich Anwalts-PR und ist inzwischen selbstständige Kommunikationsberaterin.
Logischerweise begnügt sich die Autorin nicht damit, die gängige Anwaltssprache um der reinen Kritik willen als unverständlich und verbesserungswürdig zu entlarven. Worum es ihr vielmehr geht, verrät bereits der Untertitel des Buches: „Mandanten gewinnen – Medien überzeugen. Verständliche Kommunikation in Wort und Schrift“. Damit wird klar: Hier bekommen Anwälte ganz konkrete Tipps dafür, wie Rechtstexte klar, logisch, prägnant, nachvollziehbar, anschaulich und informativ formuliert werden können.
Klartext – ein echter Wettbewerbsvorteil
Doch warum eigentlich sollten sie das tun? Wird nicht genau diese typische Sprache von Anwälten erwartet? Ist nicht auch die Sprache der Gesetze so? Wirken Fachbegriffe und Endlossätze nicht unglaublich kompetent? Im Gegenteil: Klartext ist lohnt sich, weil Rechtstexte zwar meistens inhaltlich wichtig, häufig hochbrisant und aktuell sind, aber nur allzu oft langweilen, verwirren und falsch ankommen. Weil Mandanten, die ihren Anwalt verstehen, sich bei ihm besser aufgehoben fühlen. Weil substanzlose, langatmige Statements weder in Zeitungen, noch in Radio oder Fernsehen gefragt sind. Weil ein undefiniertes Kanzleiimage die falschen Bewerber anlockt bzw. die richtigen fernhält. Weil umständlich formulierte Reden eher als Schlafmittel taugen denn als Highlight einer Veranstaltung. Weil schlechte Texte Leser und Mandanten vertreibt. Weil Klartext das ist, was besser ankommt!
Theoretisch einleuchtend. Praktisch auch:
Wie aus Anwaltsdeutsch verständlicher Klartext für Anwälte wird, beschreibt Eva Engelken ausführlich. Wichtige Aspekte dabei sind: Fachbegriffe ersetzen, erklären und umschreiben. Trotz aller Vereinfachung juristisch genau bleiben. Wortungetüme, Bandwurmsätze, Nebensächliches kürzen. Verben statt Nominalstil, aktiv statt passiv, klarer Satzbau und Textaufbau mit rotem Faden. Klare Botschaft, abgestimmt auf die Zielgruppe, ihre Interessen und ihren Wissensstand. Angereichert mit Beispielen, Metaphern, Anekdoten, Zitaten und vor allem der Persönlichkeit des Schreibers (bzw. Sprechers), werden Rechtstexte verstanden und bleiben in Erinnerung.
Natürlich sind Anwälte keine Texter. Damit ihre Vorträge, Briefe, Newsletter, Kanzleiwebsites, Bücher, Interviewstatements etc. optimal ankommen, empfiehlt Eva Engelken zudem, Profis hinzuzuziehen: von Stimm- und Sprechtrainern über Lektoren und Korrektoren bis hin zu Schreibcoaches, Werbetextern und – zum Beispiel vor Auftritten in Radio oder Fernsehen – speziellen Medientrainern.
Kann so ein Ratgeber wirklich dazu führen, dass verschwurbelte Anwaltssprache künftig präziser, verständlicher, ja sogar unterhaltsamer wird? Ich denke, ja: Denn Eva Engelken gelingt es, auf rund 200 Seiten unglaublich viele Aspekte, Beispiele, Praxistipps, Literaturvorschläge und Internetlinks unterzubringen – und das selbstverständlich nicht nur klar und systematisch gegliedert, sondern auch so geschrieben, dass das Lesen einfach Spaß macht.
Hinzu kommt, dass Juristen im Grunde die besten Voraussetzungen mitbringen: Sie denken strukturiert, sie sind rhetorisch fit und können überzeugend argumentieren. Sprache ist ihre wichtigste Waffe! Wenn sie sich sprachliche Unarten wie Floskelpanzer, Schachtelsatzgenerator, Worthülsen und Kanzleimodus abgewöhnen können, werden sie mit Klartext unschlagbar …
Kopfschüttler
Ich kenne das Buch zwar nicht, kenne dafür aber drei Anwälte, denen ich es empfehlen werde. Für eine solche Empfehlung kann ich aber nicht einfach sagen: „los, hier, lies ma!“
Das muss ich schon vorher ins Anwaltsdeutsch übersetzen, also etwa so: …fordere ich sie binnen Frist von 14 Tagen auf, die anliegenden Schriftstücke dem Wortlaut nach zu interpretieren und weisungsgemäß Ihr Verhalten im Sinne der Seiten 198 ff. zu korrigieren und jegliche Maßnahmen zu unterlassen, die insbesondere den Seiten ff…“ ;-)
admin
LOL
In Anbetracht der geschilderten Persönlichkeitsmuster könnte sich die vorgenannte Übersetzung in nicht unbeträchtlicher Weise als Vorteil erweisen, sofern nicht andere Aspekte dem widersprechen …
Das Buch ist ganz neu auf dem Markt. Und kommt, wie ich die Sache so sehe, keine Sekunde zu früh. Ich habe es komplett durchgelesen (was ich durch sinnvolle Textmarkereien beweisen kann) und empfehle es uneingeschränkt. Nicht nur für Juristen.
Weiterempfehlungen sind ebenso uneingeschränkt eine feine Sache!
Coralita
Der Kopfschüttler ist auch hier! Hallo, lange nicht „gesehen“! :-)
Liebe Grüße aus Berlin schickt Dir Coralita
admin
Hoher Besuch, was? Ob auch die Liebste manchmal hier mitliest? :-)
Die Finanzdolmetscherin
Sicher ein wichtiges und hilfreiches Buch!
Ich persönlich beschäftige mich mit Klartext in der Finanzbranche: auch da wüten Fachbegriffe, die nur Insider kennen.
Die beschriebenen Tipps erinnern mich stark an die Verständlichkeits-Merkmale von Langer/Schulz von Thun/Tausch: Einfachheit, Gliederung/Ordnung, Kürze/Prägnanz und anregende Zusätze.
Meiner Meinung nach verdienen alle „Laien aller Branchen“ eine Kommunikation auf gleicher Augenhöhe. Klartext drückt Transparenz und Wertschätzung aus. Für mich das Modell der Zukunft, um Vertrauen zu schaffen und Kompetenz zu zeigen.
Liebe Grüße,
Anna Oladejo, Wien
admin
Liebe Anna, du sagst es: Auch in der Finanzbranche wird oft das Gegenteil von Klartext gesprochen. Und in der Medizin sowieso. Du hast absolut recht, Kommunikation auf Augenhöhe ist auch eine Frage der Höflichkeit – im modernsten Sinne des Wortes. Wer verschwurbelt spricht oder schreibt, verdeckt damit auch oft die eigene Unsicherheit (oder die Tatsache, dass man eigentlich gar nichts Wichtiges zu sagen hat). Und stellt damit auch eine gewisse Hierarchie her. Was ich wiederum höchst unmodern finde. Es ist also allerhöchste Zeit für Klartext, in allen Bereichen! Danke für deinen Beitrag – freut mich, dich hier zu lesen …
Coralita
Klartext lohnt sich. Das finde ich aber auch! Lohnt sich das nicht immer? (Nein, ich möchte keine Antwort. Dies hier ist eine rhetorische Frage! *Grins*)
Mein Anwaltsfreund jedenfalls bekomme diese Lektüre auch vorgeschlagen. ;-)
LG aus dem inzwischen ziemlich kalten Berlin – und danke für den Post!
Coralita
admin
Ja, Leute, beschenkt eure Anwaltsfreunde! Weihnachten steht vor der Tür – die Temperaturen passen auch hier im wilden Westen der Republik zum Fest :-) Heute kann ich zum ersten Mal in diesem Jahr wieder mein Lieblingswort „gefriergezuckert“ verwenden, um die Frühwinterlandschaft draußen zu beschreiben …